Spurlos

"Ohne Aufsehen, bitte, Ouna", Graham faßt leicht an meine Schulter,

"laß uns Weihnachten ganz ruhig verbringen, diesmal, bitte."

Graham geht langsam in einer meine Nerven tötenden Langsamkeit,

in der nur ER sich durch unser Wohnzimmer bewegen und den Vor-

gang des Tötens nicht beenden kann, auf den dunkelroten gefütterten

Taftvorhang zu, "nur diesmal, bitte."

 

Graham, der seit zwei Tagen seinen Kopf schief hält, hebt seine Stimme nicht, sie ist da, sie verschwindet.

Auf Grahams Bitte gehe ich verbal nicht ein, nicht mehr seit neun Jahren.

 

"Graham, Du schaust blass aus"; ich bin unbesorgt.

Graham, der Monotone.

"Rotwein möchte ich", in den Weihnachtsbaum, der noch unge-

schmückt da steht, spreche ich. "Wann essen wir Heiligabend, Ouna?"

Graham, eine blutleere Spur hinter sich herziehend.

 

"Nur diesmal, Rotwein, bitte", so erflehe ich eine schöne Weihnacht.

Er, den ich als Graham anspreche, zupft an dem dunkelgranatroten Vorhang vor unserem großen Fenster.

 

Monoman ist aktiv, auf seine Weise, ER weiss nichts, und das Nichts

ist tätig.

Das hat was, er weiss nicht, dass der Vorhang neu ist.

Ein leicht bleicher Mond steht über unserem Park, der vielleicht ein

übergrosser Garten ist, fliessend sind da die Grenzen.

 

 

Rosa sagt das auch.

Im Park verschwinden eher Menschen.

 

 

"Hiram", Graham zeigt nach draussen, "er soll mich heute nicht fahren."

Draussen glitzert Schnee, die Ursache für dieses Schauspiel ist der

von mir so heiss geliebte Wintermond.

Rosa arbeitet in der Küche, ich höre Geräusche, wir kennen uns gut.

 

"Rosa weiss Bescheid, Graham, sie macht uns heute acht Gänge zum

Essen."

 

"Frosch....", Graham sieht zur ungeschmückten Tanne hinüber, "Frosch....., ehhm, Froschschenkel, hat sie an Froschschenkel ge-

dacht?"

Ich gehe zur Tanne, antworte ihm auf seinen vor Minuten ausgespro-

chenen Wunsch nicht, nicht von Hiram gefahren zu werden, nehme

vorher den neuen von mir diesmal ausgewählten Baumschmuck aus den

Kartons, "Hiram kommt nicht, diesmal, er weiss, er muss heute nicht

fahren."

 

Rosa weiss, Graham verlangt ein acht - gängiges Menue.

 

Rosa weiss alles, sie ist zwanzig Jahre in unserem Haus.

Rosa ist süss, gern redet sie nicht, zu benehmen weiss sie sich,

von Fröschen verrsteht sie etwas.

 

Graham sieht mich an, den kürzesten aller Momente, die ich je mit

ihm erlebt habe, sieht er mich an, genau an.

Blutleer ist dieser Moment, mein Herzschlag wird stärker.

"Sie bereitet uns Froschschenkel zu, sie ist dabei, Graham, die Frösche

sind schon tot."

 

"Ist doch schon soweit, Graham," mein Blick trifft auf ihn.

"Waaass?" Graham geht einen kleinen Schritt auf mich zu.

"Heute ist schon Heiligabend, Liebster."

 

"Ich habe mich entschlossen, Liebster."

 

Graham sieht mich an, er sieht durch mich hindurch, als ob ich nicht

da wäre, das Blut gefriert in meinen Adern.

 

 

 

Ursache für meine tiefen Gefühle sind die Fröschlein, die entzückenden

Froschpärchen.

"Liebster", ich habe mich entschlossen, ihn wieder so anzureden, diesmal am Heiligenabend.

Eine grosse, goldene, glitzernde Rose befestige ich an unserem Weih-

nachtsbaum.

 

Hiram, er mußte Graham seit neun Jahren nicht mehr fahren. Hiram

kann es nicht mehr, nicht heute.

Hiram war blass, er war unser Chauffeur, er sprach fast nichts.

 

Graham weiss nicht, dass ich an Hiram denke, der sich in einer Lang-

amkeit bewegte, die die Macht hatte, Nerven zu zerreißen.

 

"Liebster, sie haben es nicht gemerkt", goldene Rosen erstrahlen in

unserem Wohnzimmer, das der Monotone durchschreitet, mein Blut

löst sich aus der Kälte, ich leide unter Bluthochdruck und fasse an meine heisse Wange.

"Liebster, wenn es warm wird, machen die Frösche Liebe", eine goldene Rose folgt der anderen, ich bin konsequent, diesmal.

WeihnachtsRosen zu Weihnachten, wann sonst?

 

"Sie quaken, Graham, mein Liebster, wenn sie es tun", der Baum ist

so schön wie nie, "sie wissen nicht, dass ich sie beobachte."

Graham sieht mit seinen grossen grünen Augen auf den Weihnachts-

baum.

 

"Gold?" er erkennt.

"Ja, mein Entschluss, diesmal", ich lächle.

ER, er ist wieder weggetreten, der Graham.

Rose um Rose befestige ich am Baum, der fast zwei Meter groß

ist.

 

Alle goldenen Rosen sind befestigt, alle goldenen Rosen, die ich ge-

kauft habe.

 

"Sie ficken, Graham, die Frösche ficken, ich sehe ihnen dabei zu",

 

 

 

 

ich schreie beinahe.

Rosa kommt aus der Küche, eine schwarze Rose aus Taft befestige ich

 

 

gut sichtbar als letze Rose am Baum, ich nicke Rosa zu, sie lächelt, sie schweigt, sie geht wieder in die Küche.

"Sie, die Frösche, Graham, wisen gar nicht, dass sie ficken, sie merken

es, aber sie wissen es nicht."

 

Graham zupft an der schwarzen Taftrose, "wann essen wir Heiligabend?"

Graham geht zum Fenster, die dicke bleiche Mondsichel steht neben

seinem Kopf.

 

Schöner Mond.

 

"Hitze ist mörderisch, Ouna, mörderisch, so ist es."

"Hiram kommt nicht, Graham, "ich liebe meine kehlige Stimme nicht, "er hat sich doch zur Ruhe gesetzt, er hat Dich so lange gefahren, "den

langsamen Prolog spreche ich, den zum nervtötenden Schauspiel, an dem der Mond die Schuld trägt, "das reicht doch, Graham."

 

"Rosa?" ich muss eine lebendige Person ansprechen, in unserem Haus

muss wieder Leben einkehren.

Rosa, sie ist süss.

"Ja, ich bin soweit, wir können gleich essen, nebenan habe ich schon gedeckt."

 

Schon morgen am ersten Weihnachtstag wird es wieder lebendig werden. Hier in meinem Haus, kann ich noch umgehen mit so Etwas?

 

Ich habe grüne Augen, froschgrün sind sie, meine Entscheidung ist da,

der LiebesFroschAkt ist nicht rückgängig zu machen.

 

Eine Frau, Ich, Rosa, Ich-Frau, Graham, gemeuchelte Monotonie, wo

ist da die Mörderin?

 

Hiram, immer war er da für uns.

 

 

 

Für Graham.

 

Der Mord, meinen geliebten Wintermond kann ich nicht ermorden,

niemals kann ich eine Mörderin sein.

 

"Prost, my Love", ich stosse mit meinem Rotweinglas an Grahams

Glas an. Er trinkt Weisswein, den ich eigentlich sehr liebe.

So viele Flaschen wie sonst wird Graham heute nicht trinken, nicht

diesmal.

 

Nicht mehr.

Ich fühle, meine tiefgrünen Augen fühle ich leuchten.

"Rosa, Liebes", mit ihr, die unseren Hiram einst geliebt haben mag,

stosse ich an. "Ouna", Rosas Glas ist dunkelrot.

Rosa ist süss.

 

Kaviar ist unser zweiter Gang, schlicht, ohne Aufsehen, mit Toast, so

liebe ich ihn.

 

Rosa sitzt an der breiten Seite unseres Eßtisches, Graham sitzt an einer

schmalen Seite, ich sitze an der breiten Seite Rosa gegenüber.

"Hiram?" Graham eröffnet ein Gesprächsthema.

 

Tote Schenkel von Fröschlein, draussen an dem Ort meines Parks

hat sich unter dem Licht des Mondes Rotwein ereignet, so war es.

Vor neun Jahren.

"Rosa, auf die neun Jahre", ich proste ihr zu.

 

Graham sehe ich an, er trinkt, er säuft in grossen Schlucken seinen

Weisswein, der aber eigentlich Meiner ist.

"Graham", rufe ich unrufend und sehe Rosa an, "Graham, ist`s schön

heute?"

 

Reaktionen von der Person des Graham bemerke ich nicht.

Hiram. Und Rosa.

 

"Alles in Ordnung, Rosa", ich sehe Graham nicht mehr an, weil ich

 

 

abgeschlossen habe mit dem Monotonen.

 

"Prost", Graham spricht, "Proooostt."

 

 

"Eeehhmm", er versucht einen Trinkspruch, "eehhm", Graham ist

schon noch in meinem Hause.

 

Alles ist geregelt. "Prost, Mr. Graham", Rosa spricht zu meinem Ge-

liebten mit einem kühlen Charme, "Hiram läßt Sie grüßen, Sir."

 

Graham wirf sein Glas leise neben seinen Stuhl.

 

"Graham?" das bin ich, "soll ich Dir ein Beruhigungsmittel geben?"

Ich habe erreicht, was ich wollte, meinen Zynismus auszusprechen, nun

gerade.

Ich bin gut, den Monotonen möchte ich beruhigen, das ist sein Tod.

 

Ihm seinen eigenen Tod ankündigen will ich.

Rosa ist eine Künstlerin der Gemütlichkeit, den Tisch hat sie schön

hergerichtet.

"Graham", ich habe ihm etwas zu sagen, "ich, eeh", ich will ihm sagen,

ich habe ihn mal geliebt, Dich habe ich mal geliebt.

 

Nichts sage ich, es schmerzt zu sehr. "Ich mag Dich, Rosa", Vertrauen

vebindet uns. Rosa giesst Rotwein nach, Graham bekommt ein neues

Glas, neu füllt Rosa es. Fast nicht hörbar vertritt Graham zu dieser

Situation seine Meinung, "danke, Rosa, wie geht es Hiram?"

 

Gansstücke, knusprig, sind neben Froschschenkelchen und Kartöffel-

chen angerichtet. Fülle, heute erfüllte Lebendigkeit.

 

Graham schließt seine Augen halb, packt wieder seinen Teller voll, sieht mit schief gehaltenem Kopf zu mir, die ich seine Geliebte bin,

während Rosa spricht: "Hiram? Sir, später gehen wir zu ihm."

 

Hiram, zum Schweigen verpflichtet, fuhr Graham mit liebevoller Hin-

gabe spazieren, um 16.03 Uhr immer am Heiligenabend, Hiram, der

 

 

Schweiger, wurde von Graham geliebt.

 

 

Von der Liebe der Person des Graham war ich ausgeschlossen,

vielleicht bin ich nicht liebenswert, gewiss bin ich das nicht. Weih-

nachten, Fest der Liebe, vielleicht bin ich monoton, das kann schon

mal tödlich sein.

 

Langsam esse ich ein Bruststück der Gans und sehe Graham zu, der

seit Minuten sein Besteck in der Hand hält, vom Essen ausruht, auf dem Tisch umherschaut, er knickt seinen Kopf zur anderen Seite

ab.

 

Auf das grosse Fenster hinter Graham zeige ich, Rosa winke ich zu,

kaum merklich, sie ist draussen in unserem Park, den Überblick habe

ich.

 

Es tut sich was, Graham fällt von seinem weichgepolsterten Stuhl mit

der Gabel in der Hand auf den Fussboden, grüne und längliche Beruhigungspillen, sehr viele davon verbinden sich gut mit Weisswein,

trocken, perlig, teuer, französisch.

 

Tun die Frösche es auch auf Französisch?

 

Rosas Hände liegen auf meinen Schultern, ihre Hände fasse ich und

stehe auf, minutenlang sehe ich sie an, sehr schöne grüne Augen hat sie, wir umarmen uns.

 

Graham atmet noch, wir stellen ihn auf einen Sackkarren, Blutspuren

werden wir nicht verursachen, unsere Schuld an Grahams Tod ist leise.

 

Graham steht aufrecht, angeschnallt, leicht vermögen wir den Karren zu bewegen, Rotwein und zwei Gläser nehme ich mit.

 

Was eine Monotonie nicht alles vermag, im Park ist es kalt, wir lassen

den Karren mit Graham stehen, der Mond hat sich ein ziemliches Stück

weiterbewegt, Rosa und ich, wir holen unsere Pelze aus dem Haus und

gehen wieder zur Person des Graham zurück, was mag in ihm vor-

 

 

gegangen sein, wenn Hiram ihn chauffierte?

 

"Rosa, mir ist heiss", wir sind nicht allein, wir haben uns, unser Wissen,

"Hier", flüstert Rosa, "hier ist es, wir stellen ihn neben Hiram."

 

Günstig sind hohle Bäume, wovon in unserem Park mehrere stehen,

ohne eine verdächtige Erregbarkeit bei Personen hervorzurufen, nun

besetzen wir wieder einen dieser wertlosen Ungetüme, die Öffnung

verschliessen wir wieder hingebungsvoll mit der dem Ungetüm gehörenden Rinde, eine schwarze Rose klebe ich aussen an, auch

Rosa gefällt die schwarze Rose.

 

Trocken, teuer, französisch ist unser Rotwein, in der Kälte schmeckt

er besonders köstlich, "auf Hiram", sagt Rosa, "auf meinen geliebten

Ehemann."

 

Rosa und Ich, wir gehen auf den Abdrücken, die unsere Schuhe in den

Schnee gezeichnet haben, wieder zurück ins Haus, still steht der Mond, monotone Personen, die weiblich sind, hinterlassen keine Spuren,

unblutig handhaben sie ihr mörderisches Schicksal.